Schweigen?

Auf der unsagbar tragischen Reise nach Trachimbrod gibt es einen tiefen Moment der Ruhe. Hier habe ich den Film* gestoppt und das Standbild wurde, nachdem ich die weiße Wand weggeschoben hatte, auf die grüne Tafel unseres Klassenraums projiziert. Die Personen liegen friedlich schlafend auf einer grünen Wiese und es ist früh am Morgen. Ich habe darüber mit Kreide die folgenden Worte aufgeschrieben: Wichtige Nachricht. Es ist wieder Krieg in Europa!

Einer meiner Schüler lief zur Tafel und las die Botschaft, während ich die Worte verfasste. Er schien sofort verstanden zu haben.

Eine Schülerin beschwerte sich, weil die Klasse plötzlich aufgebracht war über diese scheinbar befremdliche Wahrheit. „Warum machen Sie das? Es ändert doch eh nichts!“, waren ihre Worte.

Ich versuchte es ihr zu erklären. Seit ich am Morgen vom Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hörte, war ich zutiefst verunsichert. Meine Gedanken kreisten während jenes Moments in meinem Kopf mit der Gewissheit, dass sich jetzt vieles ändern wird. War es wirklich Krieg? Dies beschäftigt mich und alles andere schien nicht mehr so wichtig. Das Leben geht einfach so weiter und wir können nichts daran ändern? Damit konnte ich mich nicht zufriedengeben. Sollte ich deshalb ein Zeichen setzen? Was bewirkt das? Wie hätte ich meine persönliche Sicht der Dinge so vermitteln können, ohne Ablehnung zu erzeugen? Ich möchte ja niemanden mit meiner Sicht bekehren. Doch es ist meine Pflicht, aus tiefster Überzeugung und objektiver Sachkenntnis über die besondere Lage zu informieren. Dabei hilft mir das Bild, dass ich mir aus einer umfassenden Recherche der Fakten erstellt habe und damit meine ich gesicherte Informationen aus seriösen, also vertrauensvollen Medien.

Was bringt es, über einen Krieg zu sprechen, den niemand rechtfertigen kann, außer der Person, die sich in einer Tradition von Despoten einreiht?

Es tut einfach gut, nicht an der Ohnmacht, die diese Person bei allen Betroffenen auslöst, zu ersticken. Wenn Schweigen und Erdulden etwas bringen würde, wie gern würde ich mich daran versuchen, all meine Gedanken zu verdrängen und einfach meinen Mund zu halten.

*Filmtitel: „Alles ist erleuchtet“ nach einer Romanvorlage von Jonathan Safran Foer aus dem Jahr 2002